Luther und ich

Ein Gastbeitrag von Pastor Frank Morgner

 

 

Mittlerweile ist es kaum noch auszuhalten. Luther hier, Luther da. Es herrscht ein regelrechter Luther-Hype mit Luther-Jubiläum, Luther-Kirchentag, Luther-Bibel, Luther-Büchern, Luther-Filmen, Luther-Sondersendungen, Luther-für-Kinder, Luther-für-Senioren, Luther-Playmobil, Luther … allgegenwärtig. Aber warum eigentlich? Warum dieser Aufwand? 500 Jahre sind zwar ein schönes Jubiläum, aber das allein begründet nicht diesen Rummel. Warum erfahren dieser Mann und sein Thesenanschlag nach so vielen Jahren so eine Aufmerksamkeit? Drei Gründe möchte ich hervorheben, wohl wissend, dass die Sache deutlich vielschichtiger und deshalb kaum in wenige Zeilen zu verpacken ist:

Die historische Bedeutung

Zuerst liegt ein Grund in der historischen Bedeutung der Reformation, die am 31.10.1517 mit dem Thesenanschlag an der Tür der Wittenberger Schlosskirche seinen Anfang genommen hat. Denn ohne die Ereignisse vor 500 Jahren ist die Geschichte Deutschlands nicht zu verstehen. Die Reformation hat die politischen Entwicklungen nachhaltig beeinflusst bis hin zur Entwicklung von Demokratie und Gewaltenteilung. Die deutsche Sprache hätte sich ohne Luthers Bibelübersetzung und den damit verbundenen Einfluss völlig anders entwickelt. Die deutsche Schul- und Universitätslandschaft wäre eine Andere. Die Entwicklung der Aufklärung hat durch die Reformation europaweit einen enormen Aufschwung erlebt. Kein Wunder, dass die Reformationszeit das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit markiert. Auch wenn Luther sicher nicht allein dafür verantwortlich war, steht er dennoch als Symbolfigur für einen Zeiten- und Paradigmenwechsel, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und Folgen bis in unseren Alltag hinein hat.

Die kirchengeschichtliche Bedeutung

Noch greifbarer ist zum Zweiten der Einfluss Luthers auf die kirchengeschichtlichen Entwicklungen. Zwar wollte Luther keineswegs eine neue Kirche gründen, sondern lediglich seine auf die schiefe Bahn geratene Kirche reformieren, aber faktisch legte er den Grundstein für die Evangelische Kirche, die mit ihren verschiedenen Konfessionen aus der Reformationszeit hervorgegangen ist. Der Reformationstag 1517 ist dafür der Gründungstag, der 2017 – wenn auch nur einmalig – zum bundesweiten Feiertag ausgerufen wurde. Ein Tag, der uns daran erinnert, was heute fehlen würde: Ohne Luther gäbe es keine Bibelübersetzungen und keine Bibelkreise, keine deutschsprachigen Gottesdienste, keine Predigtkultur, keine Gemeindelieder und in der Folge kein Pietismus, keine Erweckungsbewegung und nicht zuletzt auch keine innerkirchlichen Laienbewegungen wie die Brüdergemeinden. Für all diese heute selbstverständlichen Entwicklungen hat Luther den Stein ins Rollen gebracht.

Die reformatorische Wiederentdeckung des Evangeliums

Vor allem aber ist zum Dritten die reformatorische Wiederentdeckung des Evangeliums zu nennen. Kirchliche Traditionen sowie theologische, liturgische und kirchenpolitische Irrwege hatten das Evangelium nahezu völlig verschüttet und aus dem Blick geraten lassen. Der Verkauf von Ablassbriefen war zu Luthers Zeiten der traurige Höhepunkt. Gläubigen wurde gepredigt, sie müssten sich Gottes Gnade teuer erkaufen. Dabei brauchte Albrecht von Brandenburg nur Geld, um seine verschiedenen Bischofsämter in Rom zu bezahlen, und in Rom wiederum wurde der sündhaft teure Petersdom davon finanziert. Luther hingegen entdeckte als Mönch und junger Professor der Theologie die – damals nur von ganz wenigen gelesene – Bibel und damit das Evangelium: Allein durch Jesus Christus, allein durch die Bibel, allein durch den Glauben, allein durch Gnade werden Menschen mit Gott versöhnt und gerechtfertigt. Weil Jesus alle Schuld am Kreuz bezahlt hat, bin ich durch ihn freigekauft. Und das gilt für alle Menschen gleich. Deshalb wollte Luther keine Trennung mehr zwischen Klerus und Laien. Kein Mensch, so Luther, ist durch eine Weihe Gott näher oder hat mehr Autorität als Andere. Ein Bischof gilt vor Gott nicht mehr als ein Bauer, der Papst nicht mehr als einfache Bürger. Das Priestertum aller Glaubenden wird für Luther zum Maßstab für die neue Kirchenordnung.

Heute ist all das ganz selbstverständlich. Nahezu unvorstellbar, dass es einmal anders war. Aber ohne Martin Luther und seine Mitstreiter wäre heute vieles anders. Auch wenn der ganze Hype rund um Martin Luther und die Reformation kaum noch auszuhalten ist: Er hat einfach eine Menge mit uns heute zu tun, und es ist gut, das Reformationsjubiläum zu nutzen, sich Zeit zu nehmen und daran zu erinnern. Gleichzeitig ist Luther aber immer auch eine Mahnung an unseren Glauben und unsere Kirche heute.

 

Frank Morgner ist geschäftsführender Pastor der evangelisch.-lutherischen Stadtkirchengemeinde Wolfsburg. Im Rahmen von vielen Taufen, Trauungen und Festgottesdiensten ist in den vergangenen Jahren eine enge Beziehung zwischen Frank und der ChristusBrüderGemeinde entstanden. Wir baten ihn um einen einleitenden Artikel zur Reformation.

In einer Predigtreihe werden wir uns an drei Sonntagen (15., 22. und 29.10.)  mit den geistlichen Kernthemen der Reformation beschäftigen. Herzliche Einladung!